Autor Walburga
Datum 06.08.2010 06:44
Beiträge: Meine Geschichte erzählt von Begebenheiten, die sich vor über 600 Jahren hier im Taunus zugetragen haben. Habt Ihr Lust, mich in diese Zeit zu begleiten? Ihr braucht nicht ängstlich sein, unsere Reise beginnt an einem Ort, den Ihr Euch sehr gut auch heute genauso vorstellen könnt. Wenn Ihr möchtet, dann schließt vielleicht zu Beginn die Augen und ich werde Euch den Ort beschreiben.

Vom Gipfel des Feldbergs her wehte ein lauer Sommerwind. Damals nahmen die Menschen den Wind noch als Atmen der Natur wahr. Und im Schatten des Waldes an der Nordseite des Altkönigs erklang es düster und unheimlich. Undurchdringlich für die Sommersonne standen hier die säulenähnlichen Riesenstämme der Tannen und das Einzige, was dem Waldboden Farbe verlieh, war hier und da ein grellroter Fliegenpilz.

Aber lasst uns in unseren Gedanken mit dem Wind ein wenig weiter ziehen zu einer sonnenüberfluteten Waldwiese. Dort wiegten sich hohe Gräser und leuchtende Blumen in einem geisterhaften Nicken hin und her. Ein aufmerksamer Blick konnte dazwischen die Fahrspur entdecken, wo an manchen Tagen schweres Gefährt durch die Schneise rollte. Als der Harzduft der Tannen mit dem Windhauch über den Waldweg hinweg gezogen war, hielten die Blumen ihre Kelche dürstend still. Und wenn Ihr jetzt die Augen wieder auf tut, dann könnt Ihr es fast erleben, wie es ist, wenn die Sonne am Mittag eines Tages einem die Sicht nimmt, weil es flirrt und flimmert. Und genauso war es damals auch. Drückende Hitze hing zwischen den Tannen auf der einen und den Buchen auf der anderen Seite der Schneise.

Plötzlich zerriss das Kreischen eines Hähers die Stille. Schimpfend flatterte der Vogel bergauf. Dann kam aus dem Unterholz des Buchenstandes ein leises Knacken und Knistern und ein helles Klirren, als würde Eisernes versehentlich angestoßen. Und nun tauchte unten, wo die Schneise einen Bogen machte, plötzlich aus den Blättern der nickende Kopf eines schwer ziehenden Pferdes auf. Dahinter, vom Sonnenschein weißleuchtend, schwankte die Plane eines Fuhrwerks. Je näher sie kamen um so vernehmlicher war auch das Knirschen und Geächze der Wagenräder.

Das Gefährt neigte sich bald links, bald rechts zur Seite. Es schien, als sei der Kutscher ungeübt. Der Braune, der davor stapfte, schnob und schnaufte, verlangsamte plötzlich den Schritt, spitzte die Ohren und richtete die Nüstern nach dem Buchendickicht.

Im selben Moment durchdrang das Schwirren einer Sehne die Luft und ein Bolz schoss über die Schneise. Da ... in der Wagenplane klaffte ein Riss und der Wehschrei eines Menschen erklang kurz und jämmerlich.

Der Braune war mit dem Wagen stehen geblieben und aus den Buchen näherten sich schnell zwei Gewappnete. Normalerweise sind ja Pferde Fluchttiere, jedoch musste jemand die Zügel heftig angezogen haben. Der eine der Knechte wollte gerade die Plane lüften, um nach dem Unheil zu sehen, das da angerichtet war. Da kam um die Wegbiegung an der untern Schneise ein Reiter mit zwei bepackten Saumpferden. Als er die Männer sah, riss er die Zügel herum und stob mit Hussah und Halloh davon. Diesem Manne hatte der Überfall eigentlich gegolten.

„Wer hieß Dich auf das harmlose Fuhrwerk zu zielen? Warum konntest Du Deinen Übermut nicht in Zaum halten, den Finger nicht am Schnapper bewahren?“ So dröhnte die Stimme eines riesenhaften Alten, der nun ebenfalls aus dem Buchendickicht trat. Er trug einen Brustharnisch, über den ein langer Graubart floss. Unter der Eisenhaube hervor lugte erblichenes Haar. Das finstere Gesicht, aus dem ungewöhnlich blaue Augen hervorleuchteten, war wettergebräunt.

Der nichtangesprochene Knecht, Michel mit Namen, hatte mittlerweile die Plane gelüftet: „Herr, Du meine Güte! Kommt sehen, Isgrim ... der Philipp hat ein Weib erschossen ... ein Kindlein liegt daneben!“

Da hob der riesenhafte Alte die Faust und ließ sie mit schwerem Schlag dem Voreiligen ins Genick fallen. Der sank in die Knie, erhob sich schweigend und wankte mit fahlem Gesicht abseits. Dort verhüllte er seine Augen, während Isgrim weiter fluchte und wetterte und mit dem anderen Knecht versuchte, die Plane von den Leitern zu heben:

„Scher Dich heim – oder scher dich in des Satans Hölle! Unser Herr wird dir ohnehin den handgreiflichen Lohn nicht schuldig bleiben!“

Bevor der Philipp jedoch sein Pferd aus dem Dickicht holte und voraus zur Reifenberger Burg ritt, riskierte er noch einen letzten Blick zum Wagen. Auf seinen starken Armen hob Isgrim gerade ein Weib heraus, das eine blutende Wunde hatte. Während Isgrim ihr mitleidig die Hand auf die Stirn legte, sah sich Michel auf dem Wagen weiter um. Viel war es nicht, was er vorfand: Brot, ein irdener Topf, ein Bündelchen Frauenkleider und Kindswäsche, ein weniges Kupfergeld und eine einzelne Silbermünze. Das Kindlein schlief und ahnte nichts. In einem kleinen Holzkäfig sprang ein seltsames Tier umher. Der Knecht hatte dergleichen noch nie gesehen. Er wollte Isgrim fragen und hielt es hoch.

In dem Moment schlug die Frau ihre Augen auf. Um des Kindes Willen wollte Isgrim ihr noch wenigstens entlocken, wer sie denn gewesen sei. Aber auch wenn er sein Ohr ganz dicht an ihren Mund hielt, konnte er nur einen Wortfetzen vernehmen: „Härmli...“ Und schon flüchteten Schatten über ihr Antlitz ... und sie war gestorben.

Isgrim nahm seine Stahlhaube ab. Dann bettete er das Kindlein, das inzwischen auch vom Wagen geholt war, hinein. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, wie klein das Kind noch war. „Härmlein heißest du also – und dabei kennst du den Harm doch nicht, der da vor dir liegt! Deine Mutter wird wohl zum fahrenden Volk gehört haben und so bist du nun ganz allein auf dieser Welt.“

„Und was ist das nun für ein lustiges Tierlein da in dem Käfig?“ wollte Michel noch wissen.

„Ein Wiesel ist’s! So lass uns aufsitzen, dass wir vor der Dunkelheit auf Reifenberg sind.“

Kuno von Reifenberg, der noch recht junge Burgherr, galt als ungestümer und jähzorniger Ritter. Jeder wusste, dass er ungern einen anhörte, der nichts Gutes zu vermelden hatte. So war die Drohung von Isgrim dem Todesschützen Philipp gegenüber nicht so dahin gesagt. Und, um es vor dem Zorn des Ritters zu schützen, wollte er zunächst das Kind in gute Hände geben.

Das Gesinde der Burg drängte sich um Michel, der den Wagen steuerte und Isgrim. Ein junges Weib hielt sich am Steigbügel des Alten fest und lief neben seinem Schecken her. Es war Friedlin, die Brettchenweberin: „Sag mir, was habt ihr auf der Fuchstanzschneise geschafft? Mein Philipp kam heim, bleich als wär’ ihm der Tannenschreck begegnet. Nun steht er nicht Red noch Antwort, sitzt traurig daheim und lässt den Kopf hängen. ... was habt ihr da?“

Und aus den Armen von Isgrim nahm sie den Helm entgegen und vernahm gleichzeitig die Kunde, dass ihr Mann dem Kindlein darin die Mutter erschoss.

„Oh, dieses schreckliche Raubwerk, das ihr auch treiben müsst! Mög’s Gott meinem Philipp nicht entgelten.“

Während Friedlin das inzwischen weinende Kind tröstete, herzte und mit den eigenen Tränen kämpfte – denn seit 3 Jahren hatte sie sich schon nach einem Kindlein gesehnt – war Isgrim von seinem Pferd abgestiegen. Er scheuchte die zeternden und neugierigen Weiber auseinander und befahl, dass man den Wagen in den Schuppen bringe und der Toten einen stillen Platz vergönne, wo ihr der letzte Schlaf nicht durch die müßigen Gaffer gestört werde.

Erst danach ging Isgrim zu seinem Herrn, um ihm von dem Entkommen des Bergtolsheimer Krämers und dem daraus entstandenen Unheil zu berichten. Aber wie es nun mal so ist im Leben: Leid und Glück liegen oftmals dicht beieinander. Und so war dem Ritter Kuno von Reifenberg gerade an diesem Tag das Glück schon zweimal hold gewesen. Zum einen hatte ein anderer Trupp bei Dortelweil einen guten Fang gemacht, der ihn den Verlust der Waren des Krämers bis auf weiteres verschmerzen ließ. Zum anderen war ihm ein Sohn geboren. Und dies tat er Isgrim denn Kund:

„Geh’ denn hinüber zu Frau Magdhilt und lass dir den jungen Herren zeigen. Bring der Frau deinen Glückwunsch ... wie’s Dir geziemt als dem ältesten der Mannen in der Burg, der zugleich auch am längsten meinem Geschlechte dient.“

„Erlaubt mir, Herr, dass ich auch dem Vater Glück zu sage! ... Und sagt mir, bevor ich gehe noch, was mit dem Philipp geschehen soll.“

„Nun, da Du mir selbst den Philipp sonst immer als einen dienstsamen Mann geschildert hast, will ich ihn so hart strafen als es mein heut frohgemut’ Herz vermag. Sag ihm denn, dass ich ihm für diesen Herbst das Waidrecht auf Hasen und auf eine Rehgeiß im Winter entziehe. Und verkünd’ ihm ferner, dass ihm versagt bleibt, während dieses Sommers noch an einem Zug teilzunehmen. Er soll derweil sorgen, dass er sich übt, den Bolz auf der Armbrust nur dann fliegen zu heißen, wenn er mir nicht mehr Schaden verursacht. Mag er sehen, wie er sich mit dem kargen Sold ohne Beuteanteil über die Zeit hinweg hilft.“

„Die Strafe ist lind genug, Herr! Dennoch lasset mich euch zu bedenken geben, dass der lindeste Teil den Philipp am härtesten treffen muss. Härter als ihr vermeint. Der Friedlin habe ich das Kindlein der Toten übergeben.“

„Du hast gerechten Sinn, alter Wolf! ... Du willst wohl das Geschick vermögen, die Strafe zu meistern, damit sie sich von dem Unheiligen wende? Nun, an dem, was ich gesagt, wende ich ungern ein Wort um. Es bleibt bei der Straf, wie ich sie dem Philipp verhieß. Seinem Weibe aber, der Friedlin, darfst du bestellen: Sie empfange aus meiner Frau Magdhilt Güte und aus deren Freude über den gefunden Buben von heut an einen Laib Brot täglich, ebenso einen Krug Milch und aller Wochen ein Töpflein voll Butter.“

So hatte der Reifenberger gesprochen, und nun wies er seinem Knappen den Rücken, um zu zeigen, dass er kein weiteres Wort über die Sache zu reden gewillt sei.

(Teil 2 folgt später)

Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen - Erwachsenen, damit sie aufwachen.


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