Autor Walburga
Datum 19.08.2010 22:56
Beiträge: Fünfzehnmal hatte der Feldberg sein Haupt mit Schnee verhüllt getragen. Grimmige Winter waren von der Höh hinab in die Mainebene gezogen, während die Menschen hungernd und frierend in ihren Häusern saßen, oftmals die kühn gewordenen Wölfe bei den Dörfern heulen hörten und doch die Hoffnung auf Frühling in sich trugen.

Aber so ein Taunus-Winter hatte auch sein Gutes: Nidda und Main waren oft von so dickem Eis bedeckt, dass die Fuhrleute den Brückenzoll sparen konnten. Und in die Taunusdörfer kam sogar die Mär von einem großen ritterlichen Turnier, das bei der Reichstadt Frankfurt auf dem Main-Eis stattgefunden habe.

Doch wich nun auch der Schnee fünfzehnmal aus dem Taunus und gab das Land ringsum wieder frei ... der Schnee auf Isgrims Haupt – Ihr erinnert Euch, der alte Knecht mit dem wehenden Bart – genau dieses Weiß wollte nicht verschwinden. Hatte er doch schon so an die 70 Winter gesehen.

Im Reifenberger Philippshäusel, in dem seit jenem Unglückssommer das Härmlein zu Hause war, hatte sich einiges geändert. Gerade als ein Jahr vergangen, gebar Friedlin, die Brettchenweberin, einen Knaben und darüber war natürlich erst einmal große Freude. Doch drei Jahre später hatte Philipp traurig zu dem alten Isgrim gesprochen:

„Die ich erschoss, sie hat sich an mir und den Meinen gerächt! Unser Büblein wächst als ein armselig Geschöpf heran. Es bewältigt das Reden nicht, wie auch die Zeit vergehen möchte. Mit krummen Beinen und blöden Blick wankt er durch die Burg, geführt und behütet durch unser Härmlein.“

Inzwischen war der Lotz, wie ihn alle nur nannten, zu einem für sein Alter mächtig großen und kräftigen Burschen herangewachsen. Zwar tat es das Reden immer noch nicht, nur ein Stammeln entfuhr gelegentlich seinem Mund. Allerdings hatte er die besondere Gabe, sich im Wald nicht nur gut auszukennen. Nein, es schien, als würde er mit den Tieren reden können und an einem Tag brachte er sogar einen Wolf mit in den Burghof, was natürlich das gesamte Gesinde erschauern ließ. So hatte sich das Bild inzwischen umgekehrt, jetzt beschützte er das Härmlein auf jedem ihrer Schritte, sei es beim Spiel in der Burg oder bei Ausflügen im Wald.

Friedlin indes war nicht nur älter, sondern auch gramvoll geworden. Ihre Hände zitterten beim Weben schon ein wenig und wenn ihr die Tränen auch noch den Blick trübten, dann dachte sie an ihren Philipp. Der war eines Winters hinaus gegangen, um Holz zu lesen, denn es ging knapp her im Philippshäusel.

Die Nacht begann zu sinken, ohne dass der Mann heimgekehrt war. Und als Friedlin in der Dämmerung des andern Tages mit Isgrim suchen ging, fand sie ihren Philipp halb vom Schnee begraben, einen Armvoll dürres Holz unter sein Haupt gelegt und schlief so friedlich, als hätte er in einem süßen Traum vergessen, dass man daheim voll Kummer auf ihn wartete. Es war wohl genauso wie bei den Kindern an der Jammerhecke von Brombach oben ... aber das ist eine andere Geschichte.

Das war schlimm für Friedlin, nun war sie also nicht nur Witwe, sondern allein verantwortlich für zwei Waisen.

Auch auf der Burg selbst blieb das Unheil nicht aus, wenn es erst einmal auch nicht so schien. Das erste Büblein des Kuno von Reifenberg und seiner Frau Magdhilt war auf den Namen Dymar getauft worden. Er entwickelte sich zu der Burgfrau Stolz und des Ritters Freude. Und im gleichen Maße staunte Isgrim immer mehr über seines Herrn Güte und Freundlichkeit. Aller Eigensinn und das harte Wesen des Ritters war geschmolzen wie der Schnee vom Feldberg im Frühling. Ringsum im Land redete man von dem großen Glück auf Reifenberg, denn der Herr tat viel Gutes an seinen Leuten und seinen Bauern. Und griff er mal zu den Waffen, dann geschah es mehr, um ein Unrecht zu vergelten.

Dann kam einer dieser grimmigen Winter und wollte nicht wieder weichen. Der Schnee lag in den Massen, dass niemand den Weg hätte von außen zur Burg finden können. Und Frau Magdhilt lag in schweren Wehen mit ihrem zweiten Kindlein und es wollte und wollte nicht kommen. So befürchteten alle das Schlimmste. Was darauf geschah, hörte man später von Gudrun, der Baderin:

„Eingeschlossen hat er sich, der Kuno, in seiner Kammer und war für Stunden nicht zu sehen. Durch die Tür vernahmen wir sein unablässiges Beten und Rufen. Und wie durch ein Wunder wurde Frau Magdhilt ruhiger und wenig später küsste der Ritter seine Frau und hielt die leichte Bürde seines zweiten Sohnes auf den Armen. Und er gab ihm den Namen Winther, weil er ihm den Sommer seines Lebens – die gute Frau Magdhilt – nehmen wollte und weil er ihm sozusagen den ersten Frost aufs Haupt gestreut hätte.

Aber niemand – auch seine Frau nicht – erfuhr in den ersten Tagen nach der Geburt, WAS ihr das Leben geschenkt hatte. In der stillen Kammer, auf seinen Knien hatte er den Eid getan, den Dymar seinem Gott und der Kirche zu schenken, wenn seine Frau am Leben bleiben würde. Der arme Junge.“

So erzählte es Gudrun jedem und klagte vor allem darüber, dass der freundliche und hübsche Junker recht bald hinter Klostermauern leben müsse, denn Ihr erinnert Euch, was Kuno damals zu Isgrim gesagt hatte:

„An dem, was ich verkündet, wende ich ungern ein Wort!“

(Teil 3 folgt später)

Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen - Erwachsenen, damit sie aufwachen.


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