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Autor Druckerfreundliche DarstellungDas Lied von Frêne
Walburga

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Geschrieben: 21.11.2013 17:43

Von Frêne hört‘ ich die Geschichte.
Nun horcht mir zu, was ich berichte.

Es wohnten im Bretonenland
zwei Ritter einst von hohem Stand.
Begütert waren sie und reich,
An edler Rittertugend gleich
und gute Nachbarn allezeit.
Ein jeder hat ein Weib gefreit.

Eines Tages schenkte die Frau des einen einem Zwilligspärchen das Leben. Es waren zwei Knaben und der Ritter war deshalb doppelt stolz. In seiner Freude schickte er einen Boten zu seinem Nachbarn, einem angesehenen Baron. Der sollte diesem die frohe Kunde bringen und ihn zum Paten für einen der beiden bitten.

Der Bote ritt eiligst zu der Burg des zweiten Ritters, kniete im Thronsaal vor ihm nieder und verkündete die Nachricht. „Gesegnet sei der Himmel und Euer Herr! Welch frohe Nachricht, gern will ich einem der Söhne seinen Namen geben. Und Euch will ich als Botenlohn ein Pferd schenken.“ So sprach der Baron. Doch seine Frau war ein gar stolzes und falsches Weib. Voll Übermut und neidisch verkündete sie mit böser Zunge vor allen Gästen: „Bei Gott! Was hat Euer Herr nur für Ratgeber? Wie kann er mit dieser Botschaft nur Euch schicken? Bei der Geburt der beiden Knaben sollten er und sein Weib in Schande leben. Wohl weiß ich das und gestehe es Euch freimütig, dass eine Frau, die in einer Schwangerschaft zwei Kinder zur Welt bringt, diese von zwei Männern empfangen haben muss.“
Ihr müsst wissen, dass im Mittelalter dieser Aberglaube sehr verbreitet war, doch der Baron blickte sein Weib strafend an und erwiderte im strengen Ton: „Lasst diese Reden, Frau! Die Dame ist unbescholten!“

Doch ein unbedachtes Wort verbreitet sich schnell, auch wenn alle Leute in der Runde der Verleumdung nicht glauben wollten. Die Botschaft wurde auch dem Vater der Zwillinge zugetragen und dieser argwöhnte grundlos an der Treue seiner Frau, ließ sie Tag und Nacht beobachten wie im Wahn.

Einige Zeit darauf wurde auch die Frau des Barons schwanger und als die Zeit vollendet war, gebar sie ein Mädchen. Wie fuhr ihr aber der Schreck durch den Sinn, als die Hebamme verkündete, dass da noch ein zweites Kind auf die Welt drängte. Als beide Kinder ihr in die Arme gelegt wurden, da klagte sie: „Wie hat sich doch mein Los gewendet? Wer über andre Schlimmes spricht, der kennt sein eigenes Schicksal nicht. Nun werde ich mein ganzes Leben in Schande leben müssen, wenn … ja wenn nicht eines der beiden Kinder heute noch stirbt.“

Lieber wollte sie am jüngsten Tag in der Hölle büßen, als nun von allen verhöhnt und verspottet zu werden. Doch ihre Gesellschafterinnen wollten auf keinen Fall einen Kindsmord zulassen. Und sie hatte eine Zofe, die ihr immer am besten zu Diensten war, von gutem Stand und feinen Sitten. Sie kam tröstend zu ihr und bot an, das Kindlein in ein Kloster zu geben. Dort würde es sicher von Gott und einem liebevollen Menschen aufgezogen werden. Die hohe Dame war darüber sehr erfreut und versprach, ihre Zofe reichlich zu entlohnen.

Darauf wurde das zuletzt geborene Mädchen in feines Linnen gehüllt und außen herum falteten sie einen kostbaren und prächtigen Teppich, gewebt in Byzanz. In das Band, mit dem das Bündel geschnürt wurde, knüpften sie noch einen goldenen Armreif, besetzt mit Edelsteinen. So sollte für den Finder ersichtlich sein, dass es sich um ein Kind von hohem Stande handelt.

Sodann nahm das Fräulein das Kind und ging hinaus in die Nacht. Über das freie Feld gelangte sie auf eine Handelsstraße. Und durch den dunklen Wald schritt sie, bis sich die Tannen wieder lichteten. Als sie gegen Morgen Hundegebell und Hahnenkrähen hörte, wusste sie, dass sie an einen Menschenwohnort gekommen war. Eine Stadt schön und offenbar reich tat sich vor ihr auf und dicht dabei war ein Nonnenkloster. Vor dessen Pforte im Schatten einer Esche legte sie das Bündel nieder: „Nun möge Gott dir gnädig sein!“ seufzte sie.

Die Blätter der Esche, deren vier starke Äste ihre dunklen Schatten auf das Gotteshaus warfen, säuselten wissend.
Am nächsten Morgen trat der Glöckner, der dicht beim Kloster sein Haus hatte, heran. Seine Aufgabe war es, das große Tor der Abtei aufzuschließen, die Leuchter anzuzünden und die Glocken zu läuten. Wie er an der Esche vorbei geht, da sieht er einen bunten Schimmer. Er denkt, dass jemand einen Raub dort versteckt hätte und eilt hinzu. Doch als er es betastet, erwacht das schlafende Kind und weint.

Wie ging ihm da das Herz auf, denn er hielt es für ein Gottesgeschenk. Ein Geschenk für seine Tochter, der vor kurzem erst der Ehemann und dann das gerade geborene Kind gestorben waren. So nahm er den kleinen Säugling und lief nach Hause: „Tochter, steh auf! Ich bringe dir ein Kindlein, schön wie der gerade begonnene Tag. Es lag draußen unter der Esche. Gib ihm an Deiner Brust zu trinken, es hat Hunger.“

Als sie es aber auspackten, entdeckten sie auch die kostbaren Beigaben : „Dieses Mädchen muss wahrlich hoch geboren sein. Wir werden es nicht behalten können. Sei ihm nur eine gute Amme, ich werde mit der Äbtissin reden.“
Die Äbtissin hieß ihn, von der Sache schweigen, lobte ihn für seine Achtsamkeit. Solange das Kindlein noch klein war, sollte es die Tochter nähren und pflegen. Später wolle sie es als ihre eigene Nichte im Kloster halten. Und weil es unter der Esche gefunden wurde, taufte sie es auf den Namen Frêne.

Verschlossen hinter den Klostermauern wuchs Frêne heran. Doch als sie das Alter erreichte, wo die Natur ein Mädchen zur Frau reifen lässt, da sprach es sich herum im ganzen Land, dass keine schönere Jungfrau auf der Welt wäre.

Ein edler Ritter vernahm diese Erzählungen und ihn befiel heiße Sehnsucht, dieses Wunder zu schauen. Als er einstmals vom Turnier kam, führte er sein Pferd am Kloster vorbei und bat darum, dort Rast zu machen. Mit süßen Worten brachte er die Äbtissin dazu, ihm ihre Nichte doch einmal zu zeigen, von der er so märchenhafte Beschreibungen gehört hätte. Und so wurde Frêne mit zu Tisch gebeten. Der Ritter fand sie nicht nur schön, sondern auch klug und gesittet. Es traf ihn Amors Pfeil sofort. So verwirrt er von der holden Schönheit auch war, so fasste er sofort einen Entschluss, wie es ihm gelingen sollte, sie öfter zu sehen:

Er schenkte dem Kloster einige seiner Ländereien, fruchtbar und von hohem Wert. Im Gegenzug bat er sich aus, jederzeit freien Zugang zum Gotteshaus zu haben, um seinen Gebeten in aller Stille nachgehen zu können. Gar oft kam er und setzte sich auch zu dem reizenden Fräulein in den Garten, ohne dass die Äbtissin Argwohn schöpfte. Schließlich kosteten sie auch die schönste Frucht, die Gott einem Manne und einem Weibe gemeinsam schenkte.
Es muss wohl so gewesen sein, dass der Ritter Frêne vom ersten Moment an aufrichtig liebte. Und so überredete er sie gleich nach der ersten gemeinsamen Nacht zur Flucht aus dem Kloster. Ihm war klar, dass er ein Findelkind nicht heiraten konnte, doch in den Mauern seiner Burg schien sie ihm geschützter, vor allem, wenn aus ihrer Liebe ein Kind hervorgehen sollte. Sie folgte ihm ohne Widerstreben und nahm nur das byzantinische Tuch und den Armreif mit, den sie in einem Schrank eingeschlossen wusste. Es war der Äbtissin nämlich in einer Stunde von Gott eingegeben worden, das Mädchen nicht im Unklaren über ihre Herkunft zu lassen.

Der Ritter ehrte Frêne, als wäre sie sein Weib, und auch von seinem Gefolge wurde sie geachtet … Ja, bis es Streit gab und seine Vasallen den edlen Herrn bestürmten, eine hohe Dame zu freien. Einen Erben sollte er zeugen, einen von edlem Stamm, auf dass das Geschlecht sich fortpflanzen und für Recht und Ordnung auf alle Zeit im Lande sorgen sollte. Sie drohten damit, die Lehenspflicht aufzukündigen, wenn er dem Willen des Volkes nicht folgen würde.

„Herr“, so sprach einer seiner Ritter, „wir wissen da um einen mächtigen Baron, der seine Tochter verheiraten will. La Codre ist die Maid genannt und auch von ihrer Schönheit wissen die Lieder zu singen. So lasst denn ab von Eurem Liebchen, zumal sie niemals eine Frucht getragen …“

So musste sich nun der Ritter beugen und die Heirat ward verhandelt und beschlossen.
Doch Frêne schien durch die Nachricht gar nicht betrübt oder im Schmerz. Sie diente ihrem Herrn weiterhin in Ehre. Selbst das höfische Gefolge war in Gram und Groll, doch sie blieb freundlich und lieb. Sie kümmerte sich um die Vorbereitung des Festes, keinem Gast sollte es an etwas fehlen.

Schließlich führte man die Braut ins Haus und bei ihr war auch die Brautmutter. Sie hatte von Frêne gehört und fürchtete nun, dass ihre eigene Tochter nicht die rechte Liebe von ihrem Gemahl empfangen würde, solange das Liebchen noch im Hause wäre. Deshalb wollte sie den Vorschlag machen, dass doch der Brautvater einen wackeren Mann für das Mädchen findet. Sie beobachtete die Geliebte ihres Schwiegersohnes genau und war erstaunt über deren gute Sitten, ihre sanfte Miene und wunderte sich gar sehr. Da tat ihr das gute Kind sogar leid.
Die Hochzeit wurde mit großer Pracht, Jubel und Freude gefeiert. Doch als die Nacht heran kam und das Hochzeitsbett bereitet werden sollte, ging Frêne selbst in das Schlafgemach. Sie wies den Kämmerling an, wie es denn für ihren Herrn am liebsten und bequemsten sei. Wohl kannte sie des Freundes Bette. Doch als die Decke drauf gelegt wurde, da war sie sehr betroffen. Sie dünkte ihr in den verblichenen Farben nicht schön genug. So nahm sie den kostbaren Teppich, den sie aus dem Kloster mitgenommen hatte und deckte damit gar sorgfältig die Hochzeitskissen zu.

„Nun, Tochter – es ist Schlafenszeit. Entkleidet Euch und seid bereit für Euren Gemahl!“ sprach die Brautmutter und führte sie ins Gemach. Wie sie eintraten, gefiel den beiden Frauen sofort das herrliche Tuch auf dem Bett. Doch als die ältere der beiden näher trat, da fiel sie sofort in Ohnmacht.

Als die Hofdamen sie wieder auf die Beine gebracht hatten, verlangte sie zu wissen, wo dieser Teppich her sei. Der Kämmerling wurde gerufen und erklärte, dass es das Mädchen gewesen sei, dem das Lager wohl zu bescheiden vorgekommen war. Und Frêne erklärte: „Meine Muhme gab ihn mir. Sie erzog mich in jungen Jahren. Es ist das Tuch, in dem ich vor dem Kloster gefunden wurde und ein Armreif lag noch als Pfand dabei.“
Und auf die Bitte brachte sie den Reif. Als den die edle Dame sah, war all ihr Zweifel überwunden. Zu genau kannte sie beide Dinge: „So, sage ich es hier vor aller Ohren, dass Du mein Kind bist.“ Weitere Erklärungen gingen in Weinen und Schluchzen unter. Und sie weinte auch noch, als ihr Mann herbei geeilt war. Da fiel sie ihm vor die Füße, hielt seine Knie fest umschlossen und bat ihn um Vergebung. Der Ritter hatte all die Jahre mit seiner Frau in friedlicher Eintracht gelebt, denn nach der Geburt der Tochter schien sie ihm sogar wie verwandelt. Sie war die Güte und Freundlichkeit in Person gewesen. Warum sollte es etwas geben, was er ihr vergeben müsse.

„Mein Herr, ich will Euch alles verkünden. Unbedacht habe ich die Nachbarin einst geschmäht, die Zwillingen das Leben geschenkt hat. Doch meine Bosheit hat sich gerächt, denn ich kam mit zwei Mädchen nieder. Das eine Kindlein setzte ich aus, um mich der Schmach zu entziehen. Von Jammer war mein Herz so krank, doch ich glaubte, das einzig Mögliche getan zu haben. Der Beweis ist dieser Teppich, in das ich das Mädchen vor dem Gotteshaus ablegen ließ und der Armreif, der es als Kind von hohem Stand ausweisen sollte. Dieses Fräulein ist es, von der Ihr wisst, dass sie nicht nur schön und klug, sondern auch demütig und standhaft das Leid der Hochzeit ihres Liebsten ertragen hat … der Hochzeit mit ihrer Schwester.“

Da sprach der Baron großmütig: „Ist mir auf’s neu ein Kind beschert? Welch Glück hat Gott uns geschenkt!“ Und als er seine Tochter in den Arm nahm, da tat die Mutter ihr Gleiches. Danach bat der hohe Herr die Frauen, im Gemach zu verbleiben und machte sich auf zu seinem Schwiegersohn, der die ganze Zeit rücksichtsvoll und doch besorgt mit dem anwesenden Erzbischof wartete. Er verkündete, was sich im Schlafgemach begeben hatte, kein Detail ließ er aus. Worauf der weise alte Erzbischof die Hand erhob und sprach: „Lasst diese Nacht die Sache ruh’n. Begebet Euch nicht in das Hochzeitsgemach. Dann will ich morgen die beiden Neuvermählten scheiden. Das Fräulein Frêne ist die wahre Braut.“

So wurde es beschlossen und am Morgen wurde es getan. Drauf ward dem Herrn für’s ganze Leben seine treue Liebe zum Weib gegeben. Der Vater schenkte das halbe Erbgut als Hochzeitsgabe und blieb mit Frau und der anderen Tochter auch zum Hochzeitsfest. La Codre fand bald darauf einen Ehemann … man erzählte sich, es war einer der Zwillingsbrüder des Nachbarn und lebte mit diesem ebenfalls glücklich und zufrieden.

Als dieses Abenteuers Kunde
verbreitet ward von Mund zu Munde.
Geschah’s, dass man dies Lied erfand,
das nach der Dame Frêne genannt.

(nach den "Lais of Marie de France" - aus der Reimform von mir übertragen ... das Buch bekam ich auf der Feyerey von Carsten geschenkt :-)



Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen -
Erwachsenen, damit sie aufwachen.

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